Kurze Freude        

In meiner Jugendzeit fuhr ich gerne über die Weihnachtstage zu  meinen Grosseltern

ins Weserbergland. Umgeben von Bergen und Wiesen lebten sie in einem alten Haus in

Coppenbrügge, mit Schieferkacheln an den Wänden, noch aus Lehm gebaut. Es gab

natürlich noch  keine Heizung in allen Räumen und so bekam ich von Oma abends

immer eine große, heiße Wärmflasche unter die dicken Federbetten gepackt.

Am nächsten Morgen hatte ich vom Atem eine dünne Eisschicht auf der Bettdecke

und die Fenster waren dick übermalt mit Eisblumen. Da hieß es erst einmal kratzen

um zu sehen, ob wir schönes Winterwetter haben. Mit etwas hauchen wurde das

Loch in der Scheibe immer größer und die Freude war riesig, wenn es in der Nacht

wieder reichlich Schnee gegeben hatte. Nun schnell gefrühstückt und dann den Schlitten

hervorgeholt. Ich musste doch wie jedes Jahr mit meinem Großvater den Baum besorgen.

Also stapften wir die Strasse die steil nach oben zum Dorf führte rauf und als wir außer Sicht

waren, steckte sich der Großvater erst mal seine geliebte Zigarre an. Oma musste das ja nicht

mitkriegen. Ein kleiner Klönschnack hier, ein paar freundliche Worte dort, man kennt sich

eben im Dorf. So erreichten wir den Marktplatz . Der Baumverkäufer begrüßte uns freundlich

und so lag nach kurzer Zeit ein wunderschöner Weihnachtsbaum auf unserem Schlitten.

Gemütlich bummelten wir zurück, eine Zigarre braucht seine Zeit. Mir war es recht, denn

es gab nichts schöneres, als meinem Großvater zu lauschen, der über jedes Haus und die

Menschen im Dorf eine lustige Geschichte zu erzählen wusste. “Na Heinz, auch mal wieder

hier ?  Wünsche Euch schöne Feiertage“ , ja, sie kennen einen auf dem Dorf.  Vorsichtig

rutschten wir nun die Strasse zu unserem Haus wieder runter und stellten den Baum auf dem

Hof ab, damit er schön frisch bleibt. Nun noch einmal schlafen und dann durfte auch er in

die warme Stube. Das schmücken war wieder Männersache und so machten wir uns am

Heiligen Abend an die Arbeit. So ganz ohne fluchen ging das nicht immer ab, bei einer Kugel

fehlt der Drahtbügel, das Lametta vom letzten Jahr war total verdreht, man war ja sparsam und

Oma hob alles auf. Nun noch die Kerzenhalter verteilt, geschafft. Gemütlich lassen wir uns

auf das Sofa fallen um stolz unser Werk zu betrachten. Auch Oma hat Gott sei Dank nichts

auszusetzen, nun konnte Weihnachten beginnen. “Sag mal, riechst du das auch ?“ fragt mein Großvater.

„Ja, jetzt wo Du es sagst, es riecht wie Katzenscheiße“ „Sollte das verdammte Vieh ?“ Auf allen

vieren kriechen wir durchs Wohnzimmer, leuchten mit der Taschenlampe in alle Ecken, nichts.

Ich nähere mich dem Baum und der Geruch wird stärker. „ Es kommt von hier“ Mein Großvater

besieht sich die Sache und lacht. „Alles klar, als der Baum auf dem Hof stand, hat ihn die Katze

kurz mal markiert und nun in der Wärme verteilt sich der Geruch“. Oma ist entsetzt:“ Das ist doch

nicht auszuhalten“. Also kurzer Prozess, der Weihnachtsbaum landet wieder im Hof. Nach dieser

kurzen Freude erlebe ich den ersten Heiligen Abend mit dem guten alten Adventskranz. Feierlich

wurde es trotzdem. Wir haben noch lange über diese Geschichte gelacht, während es sich die Katze ,

keiner Schuld bewusst , an unseren Füssen gemütlich machte.

© Heinz Bornemann           Adventskranz 

 Haus meiner Grosseltern
Haus meiner Großeltern 1963
                                 


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Erfindung            

Auf dem Dorf ist es ruhig geworden, rechtzeitig hat entgegen aller Wetterberichte

ein leichter Schneefall eingesetzt. Es ist Heilig Abend und da darf es trotz aller ländlicher

Arbeit mal ein wenig ruhiger und besinnlicher zugehen. Die Glocken durchdringen mit

einladendem Ton die dörfliche Stille. Auch Bauer Harmsen hat alle Tiere versorgt,

während die Frauen in der Küche die letzten Backbleche aus dem Ofen ziehen. Hmm,

die braunen Lebkuchen sehen wieder verführerisch aus. „Stellt sie auf die Terrasse,

dann kühlen sie schneller ab“ bestimmt Mutter Harmsen „Vater, komm in die Puschen“

„Ich füttere noch schnell die Hühner, dann können wir los“ Nun wird es aber auch Zeit,

schnell in die guten Sonntagsklamotten geschlüpft. Man beeilt sich, denn zum Heiligen Abend

wird es schwer, in der gut gefüllten Kirche einen Platz zu finden. Im Stall sitzen die Hühner

eng nebeneinander auf der Stange. „Typisch“ meckert die Henne „Es ist Weihnachten und

wir bekommen die gleiche Körnerration wie immer“ „Sei froh, dass Du in dieser Zeit keine

Gans bist“ erwidert klug der Hahn. Als man noch so hin und her diskutiert, bemerkt die Henne,

dass der Bauer in seiner Eile die Stalltür nicht verriegelt hat. Neugierig wie Hennen nun mal sind,

zwängt sie ihren Kopf  durch den engen Spalt. Tatsächlich, die Tür gibt nach. Vorsichtig setzt sie

ihren Fuß in den Schnee. Die Glocken verstummen langsam, die Christmesse beginnt und die Luft

ist rein. Langsam nähert sie sich der Terrasse. „Kommt ihr Feiglinge“ ruft sie ihren Mithühnern zu.

„Hier gibt es köstliche Dinge zu picken“ Einige wenige trauen sich und schon wird nur der Mond am

Himmel Zeuge, wie sich unsere Hühner an den braunen Lebkuchen gütig tun. „Nicht zuviel, sonst

merken sie es“ Immer dieser vorlaute Hahn. Ein Festweihnachtsessen. Zufrieden und satt trottet man

wieder brav in den Stall zurück. Die Schneeflocken scheinen sich mit ihnen verbündet zu haben, denn

sie rieseln brav die verräterischen Spuren zu.Am nächsten Morgen schlürft Bauer Harmsen wie an jedem

Tag mit seinem Korb zum Hühnerstall. Es geht nichts über ein ordentliches Ei zum Frühstück. Als er ins

Nest schaut, erschrickt er. „Mutter, komm mal schnell rüber“ Auch die  heraneilende Mutter kann nicht

glauben was sie sieht. Ja, an diesem Heiligen Abend wurden die braunen Eier erfunden und

nur der Mond weiß warum

 

© Heinz Bornemann  

 

 


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Was zu verzollen ?           

In Hamburg gibt es wie jeder weiß, an der Elbe einen großen Hafen. Und mittendrin

liegt der so genannte Freihafen, das Zollgebiet. Wie an einer ausländischen Grenze gibt

es auch hier einen Schlagbaum und die Zöllner kontrollieren die Menschen, die Richtung

Innenstadt wollen. Es ist kurz vor Weihnachten. Zöllner Fred schiebt Dienst und  hat es

sich in seiner kleinen Wachstube gemütlich gemacht. Um diese Zeit ist nicht mehr viel los.

Ab und zu mal ein Taxifahrer, der einen Seemann bestimmt nicht zu einer Weihnachtsfeier

fährt. Man kennt sich und winkt ihn kurz grüssend durch. Gerade als er sich seinen frisch

gebrühten Tee einschenken will, stört ihn lautes Motorengeräusch. Schnell die Mütze gerade

gerückt und schon steht ein großer, alter Lastwagen vor seiner Schranke. „Guten Abend, Zollkontrolle,

darf ich mal ihre Ladepapiere sehen ?“ Am Steuer sitzt ein älterer Herr mit Bart und schmunzelt

„Ich habe keine Ladepapiere, nur Wunschzettel. Ich bin der Weihnachtsmann“ „Ja, ja und ich

der Kaiser von China“ antwortet noch beherrscht Zöllner Fred. Er macht hinten die Ladeluke auf

und sieht Unmengen von Spielsachen und Süßigkeiten. „Von welchem Schiff sind die denn geschmuggelt ?“

Der alte Herr hat inzwischen das Führerhaus verlassen. Gekleidet in einer alten Jeanshose und Weste

sieht er wirklich nicht wie der Weihnachtsmann aus. „Wir hatten dieses Jahr Transportprobleme mit

den Schlitten und da haben wir alle Geschenke für die Hamburger Kinder per Schiff kommen lassen“

„Folgen sie mir bitte in mein Büro“ kommt nun schon etwas unfreundlicher die Aufforderung vom Zöllner.

„Bitte weisen sie sich aus“ Der alte Herr nestelt einen alten, vergilbten Zettel aus seiner Hosentasche. Name:

Weihnachtsmann, Geburtsort: Nordpol. So langsam reicht es Fred, ist es die versteckte Kamera oder war

schon wieder einer aus der Psychiatrie entflohen. Irgendwie war ihm unwohl. Aber gut, denkt er, spiele ich

ein wenig mit. „Wieso haben sie ihre Dienstkleidung nicht an, so läuft doch kein Weihnachtsmann rum?“

„Nun, beim Verladen der Geschenke wäre mein schöner roter Mantel doch recht unansehnlich geworden.

Ich verrate ihnen ein Geheimnis, in der großen Kirche am Hafen, dem Michel, habe ich in den unteren Gewölben

meine Geheimkammer, dort ziehe ich mich immer um und gebe dann vom Turm meinen Rentieren das Zeichen

zum Aufbruch“ Langsam muss der Zöllner nun doch schmunzeln, soviel Unsinn hatte er an einem Tag noch

nicht gehört. „Weißt du noch Fred, wie ich vor vielen Jahren deinen größten Wunsch nicht erfüllt habe ?“

Der Zöllner stutzt, woher kannte er seinen Namen? „Du wohntest mit deinen Eltern und Geschwistern in der

Stresemannstrasse, die Zeiten waren schlecht und dein größter Wunsch war ein Teddybär. Dein Vater konnte

nicht jeden Wunsch erfüllen und so schriebst du mir einen Wunschzettel. Aber auch bei uns waren die Möglichkeiten

begrenzt.“ Der Zöllner kratzt sich verlegen am Hinterkopf, die Daten stimmten, woher wusste der alte Herr das.

Der Weihnachtsmann schmunzelt und holt einen alten, verstaubten Aktenordner hervor. „Auch wir haben eine

gute Buchführung, sehen wir doch mal nach.“ Er blättert die Jahrgänge durch und sein Gesicht strahlt. „Hier haben

wir ihn ja“ mit diesen Worten hält er Fred seinen alten Wunschzettel unter die Nase. Sprachlos starrt Fred auf den Zettel.

Tatsächlich, sein alter noch mit krickeliger Kinderschrift beschriebener Wunschzettel. „Nun wenn das so ist,

dann mal los, wollen wir die Hamburger Deerns und Jungs nicht warten lassen.“

„So ist es recht mein Guter, wünsche dir frohe Weihnachten.“

Wie in Trance öffnet Fred den Schlagbaum, der alte Herr winkt ihm noch einmal freundlich zu und

biegt rechts zur Stadt ab.“Das darf ich auch keinem Kollegen erzählen“ brummelt der Zöllner

und geht nachdenklich zurück in die warme Wachstube.

Als er sich gerade setzten will, fällt sein Blick auf einen braunen Teddybär.

                                           Teddy  © Heinz Bornemann  Santa

 

        


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Weihnachtssturm            

Der Wetterbericht für die Feiertage sah nicht gut aus. Es war mit Schneesturm

und glatten Strassen zu  rechen. Wer nicht unbedingt raus musste, blieb also lieber

in der warmen Stube. Herr Weber hatte bis zum Geschäftschluss in der Stadt zu tun,

das Weihnachtsgeschäft war wieder einmal mehr als anstrengend. Nun freute er sich

auf zuhause und ein gemütliches Fest. Er wohnte, da die Miete für eine Familie mit

Kindern unbezahlbar war, in einem idyllischem Dorf und fuhr jeden Tag mit seinem

Kleinwagen zur Arbeit. Heute war ihm gar nicht wohl bei dem Gedanken, jetzt noch

fahren zu müssen. Da klingelte das Telefon. „Fahr bloß mit dem Zug, hier ist kein durchkommen“

beschwört ihn seine Frau. „Mach Dir keine Sorgen, wir warten auf dich“ Also macht er sich auf

den Weg zum Bahnhof. Die Karte ist gelöst, nur so oft fahren am Heiligen Abend keine Züge,

die auch in kleinen Dörfern halten. So steht er eine gute halbe Stunde ziemlich allein auf dem

zugigem, eiskalten Bahnsteig. Endlich biegt die Lokomotive um die Ecke, mit quietschenden Rädern

kommt der Zug zum stehen. „Na, an der Heizung sparen sie auch“, denkt Herr Weber und schlägt seinen

Mantelkragen hoch. Er ist ganz allein im Abteil, wer fährt auch jetzt noch mit einem Bummelzug durch

die Gegend. Seine letzten Geschenkpakete verstaut er über sich im Gepäcknetz und lässt sich müde auf

den Sitz fallen. Der  Zeiger der großen Bahnhofsuhr springt auf die volle Minute, ein kurzer Pfiff,

„Zurückbleiben bitte“ der Zug setzt sich in Bewegung. Die alten Wagen schaukeln und ächzen durch

die nun immer dunkler werdende Gegend. „Jemand zugestiegen?“ Der Schaffner wendet sich

freundlich Herrn Weber zu. „So spät an Weihnachten noch unterwegs?“

Man klönt ein wenig über dies und das und der Zug  ratternd eintönig über die Schienen.

„Wünsche frohe Weihnachten“ „Ihnen auch, hoffentlich ist ihr Dienst bald zu Ende“

Herr Weber wischt in das beschlagene Fenster ein Guckloch.

Es ist  stockdunkel, doch der Lichtschein der Wagen zeigt ihm , dass der Schneefall zugenommen hat.

Ein eisiger Wind versucht mit der Zuggeschwindigkeit mitzuhalten. „Da werde ich wohl den

ersten Weihnachtstag mit Schnee schippen verbringen“ Als er so seinen Gedanken nachhängt,

beginnt er sich langsam auf den Heiligen Abend zu freuen. Es war doch immer sehr gemütlich

im Kreis der Familie und die Kinder würden ihn sicher schon ungeduldig erwarten. In diesem

Moment schreckt ihn ein kreischendes Geräusch aus seinen Gedanken. Der Zug bremst mit

voller Kraft um dann mit einem plötzlichem Ruck stehen zu bleiben. Herr Weber kann sich

gerade noch abfangen. Die Geschenkpakete segeln knapp an seinem Kopf vorbei und verteilen

sich im Waggon. Er versucht das Fenster zu öffnen, doch die Kälte ist stärker. Also

läuft er durch den leeren Zug. Der Schaffner eilt ihm schon entgegen. „Sind sie o.k. ?

Der Sturm hat ein paar Bäume auf die Gleise gefegt und auch die Stromleitung getroffen.“

„Was passiert nun?“ „Wir versuchen Hilfe per Funk zu bekommen,

aber das kann dauern, sie merken ja auch im nächsten Bahnhof, dass wir nicht ankommen.

“ Langsam wird es kalt im Zug, ohne Strom auch keine Heizung. Die finzelige Notbeleuchtung

taucht alles in eine gespenstische Szene. Draußen tobt der Sturm stärker und wirbelt den

Schnee um die Wagen. „Ausgerechnet jetzt habe ich mein Handy im Geschäft liegen lassen,

es darf nicht wahr sein.   Wo sind wir eigentlich?“ „Nicht weit von ihrem Ort“

Herr Weber überlegt kurz, es ist schon kurz vor sieben, die Familie wartet auf die

Bescherung, ob er es riskieren sollte? „Ich würde da nicht rausgehen“ meint der Schaffner

mahnend. Doch rede einem Geschäftsmann mal eine unsinnige Idee aus. Er sammelt eilig seine Pakete zusammen.

„Hier warte ich doch nicht die ganze Nacht, ich versuche es auf jeden Fall“ „Ich kann sie nicht aufhalten, auf ihre

Verantwortung, trotzdem  frohe Weihnachten“ „Danke gleichfalls“ murmelt Herr Weber noch und macht sich auf

den Weg. Kopfschüttelnd sehen ihm  Lokführer und Schaffner nach, als er in der dunklen Nacht verschwindet.

Der Schneesturm weht ihm eisig ins Gesicht, wie soll er sich orientieren. Auch der Schnee wird immer tiefer und

erleichtert das vorwärts kommen nicht gerade. So läuft er nun schon fast eine Stunde und die Kräfte erlahmen.

Die Pakete sind längst durchnässt aber er hält sie tapfer fest. „Hier müsste doch bald mal eine Strasse kommen“

Langsam denkt auch Herr Weber, dass er besser auf das Zugpersonal gehört hätte. Ihn fröstelt und die

Dunkelheit gibt ihm wenig Chance, den Weg zu finden. „Hoffentlich bin ich nicht im Kreis gelaufen."

In solchen Momenten fällt auch dem härtesten Geschäftsmann ein, dass ein Gebet nie schaden kann.

Als der nicht so überzeugte Christ noch nach Worten sucht, hört er plötzlich gar nicht weit entfernt

die Kirchenglocke seines Dorfes, die zur Christmesse ruft. Den Klang kannte er gut, wie oft hatte

er sich am Sonntagmorgen noch einmal im Bett umgedreht und auf das unmögliche Gebimmel geschimpft.

Heute klang es für ihn wie das schönste Orchester. Er eilt immer dem Klang der Glocke nach und sieht

tatsächlich die ersten Lichter des Dorfes durch das dichte Schneetreiben leuchten. Endlich erreichte

er seine Familie die ihn erleichtert umarmt. Inzwischen aufgewärmt sitzt Herr Weber mit seiner

ganzen Familie um den Weihnachtsbaum und erzählt seine leichtsinnige

Geschichte. „Lasst uns nachher zur Spätmesse gehen, ich muss noch jemandem danken“ .

Die Familie hört es mit staunen Wie gut, dass in der Heiligen Nacht die

Glocken mit besonderer Kraft läuten.

                                                                        © Heinz Bornemann 
 

                     

 


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Traurige Weihnachten        

Wie jedes Jahr zur Weihnachtszeit, emsiges Treiben in der Stadt. Ein Geschiebe

und Gedränge, als gäbe es jedes Geschenk nur einmal zu kaufen. Kaum ein Blick

für den Musiker, der mit steifgefrorenen Fingern versucht, seiner Geige das Lied

vom immer grünen Tannenbaum zu entlocken. Nur die Nase atmet in der eisigen

Luft den Duft von Lebkuchen und Bratwürsten. Oma Schulz braucht noch ein

Geschenk für ihren Enkel. Sie bindet ihrem schon recht alten Hund die Leine um,

denn allein mag er nicht bleiben und fährt mit ihm im überfüllten Bus in die Innenstadt.

“Wäre ich doch nur zu hause geblieben“ stöhnt sie, als sie die Menschenmassen sieht.

Der Hund hat natürlich die Bratwurst auch gerochen, aber typisch, dafür hat sein

Frauchen keine Nase. Sie boxt sich regelrecht durch die Massen, der kleine Kerl weiß

gar nicht, wie er die vielen Beine umlaufen soll. Sein Herz rast schon heftig, man ist

nicht mehr der jüngste. Endlich haben beide ihr Ziel erreicht und wie ein Wunder hat

sogar ein Verkäufer im überfüllten Laden Zeit für sie. “Da haben sie Glück „ meint der

junge Mann, „dies war der letzte Kopfhörer“, er streichelt lächelnd den Hund,

„bitte bezahlen sie an der Kasse, frohe Feiertage“. „So ein netter Mensch“ denkt Oma Schulz,

„komm mein Kleiner, wir haben es bald geschafft“. An der langen Schlange vor der Kasse geht

es nur langsam voran, aber endlich kann man das muffig warme Klima des Ladens verlassen

und draußen tüchtig durchatmen. Schnell, jetzt versuchen wir noch einen Platz im Bus zu

ergattern. „ Komm, nicht so langsam“ ruft Oma Schulz ihrem Hund zu, da merkt sie entsetzt,

dass es für ihn wohl zuviel Stress war. Er liegt friedlich auf der Seite, sein schwaches Herz hat

aufgehört zu schlagen. Völlig verzweifelt ruft sie unter Tränen um Hilfe, doch die Menschen

hasten achtlos an ihr vorbei. So nimmt sie langsam ihren kleinen Hund auf den Arm, während

der Bus gerade an der Haltestelle eintrifft. „So kann ich sie nicht mitnehmen, das Befördern von

toten Tieren ist mir nicht gestattet“ brummelt unfreundlich der Busfahrer. Selbst der Protest der

anderen Fahrgäste kann ihn nicht umstimmen. Die Bustür schließt sich mit einem Zischen und

in der Spiegelung der vorbeirauschenden Fenster sieht man die Umrisse der entsetzten Frau.

„Was mache ich nur?“. Da fällt Oma Schulz der nette Verkäufer ein und eilt zurück in den Laden.

Tatsächlich entdeckt sie ihn gleich im Gewühl. „Nanu, haben sie etwas vergessen?“ meint er gleich

freundlich und erschrickt doch sehr, als er von ihrem Missgeschick hört. „Passen sie auf gute Frau,

ich hole ihnen einen leeren Radiokarton, darin legen wir ihren Hund und sie haben mit dem Busfahrer

keine Probleme mehr“ Oma Schulz nickt nur, sie erlebt alles nur wie in Trance. Gesagt getan, den

Hund gut verpackt im Radiokarton verlässt sie erneut das Geschäft und stellt sich an die Bushaltestelle.

Die Welt ist auch in der Großstadt klein und so trifft sie ihre Nachbarin. „Stellen sie sich vor was mir

passiert ist“. Man ist zu Recht empört und vergisst für einen Moment das turbulente Treiben um sich

herum. „Da kommt unser Bus“ Oma Schulz will  den Radiokarton hochnehmen ,greift ins Leere und

bekommt den nächsten Schreck. Sie sieht gerade noch, wie ein junger Mann mit ihm eilig im Gewühl

verschwindet. "Das darf doch nicht wahr sein". Wer würde nicht gerne das entsetzte Gesicht des Gauners

sehen, wenn er den Karton öffnet. Vielleicht war es ja ein heilsamer Schock für ihn. Das ist natürlich kein

Trost für Oma Schulz, die ohne ihren kleinen Hund einsame und traurige Weihnachtstage erleben wird.

 

  © Heinz Bornemann              

                          
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